Standardvorsorge

Die Gebäudeversicherung im Mittelpunkt 

Für die deutschen Sachversicherer gibt es im Prinzip am Standard der Gebäudeversicherung nur wenig zu verändern. Und auch die europäische Konkurrenz wird kaum gefürchtet. Immobilien-Reporter Helmut Peters sprach mit Rechtsanwalt Horst Kriebisch vom Verband der Schadenversicherer e.V. in Köln über die Situation der Branche.

Immobilien Manager:

“Herr Kriebisch, Versicherungen sind, gerade im Immobilienbereich ein unverzichtbares “Muß”. Vielleicht zunächst ein paar Zahlen, die verdeutlichen, welche volkswirtschaftliche Bedeutung hinter “Immobilienversicherungen” steckt!”

Horst Kriebisch:

Der Einfachheit halber möchte ich Bezug nehmen auf das letzte abgeschlossene Geschäftsjahr.

In der Verbundenen Wohngebäudeversicherung, der größten Sparte im Bereich der Allgemeinen Sachversicherung, verzeichnen wir gut 12 Millionen Verträge mit einem gebuchten Beitrag von rd. 5,2 Mrd. DM. Dieser Prämieneinnahme steht ein Schadenaufwand von 3,5 Mrd. DM gegenüber.

Die Schadenquote, also das Verhältnis zwischen Aufwand und verdientem Beitrag, betrug 70,2 %. Wenn man auf diesen Eckwert die Kostenquote legt, bleibt im Ergebnis festzuhalten, daß auch in 1994 die Gebäudeversicherer im technischen Geschäft wiederum rote Zahlen geschrieben haben.

Ein Blick auf die Geschäftsergebnisse der letzten fünf Jahre zeigt zudem, daß lediglich in 1989 und 1991 relativ zufriedenstellende Ergebnisse erzielt werden konnten. Nicht zuletzt wegen des Katastrophenjahres 1990 – ich erinnere an die verheerenden Sturmschäden – tragen die Gebäudeversicherer einen Verlust von fast 2 Mrd. DM aus dieser Periode vor sich her.

Nicht entscheidend besser stellt sich die Situation in den gewerblichen Sparten, also der Feuer-, Leitungswasser- und Sturmversicherung dar, von der Glasversicherung einmal abgesehen. Im Schnitt liegt die Schadenquote in diesen Sparten bei ca. 80 % was zur Folge hat, daß auch in diesem Bereich mehr von unseren Gesellschaften an Schadenlast getragen wird, als Prämien eingenommen werden.

Vielleicht an dieser Stelle noch ein Wort zu den Schadenursachen im Rahmen der Gebäudeversicherung, die – wie Sie wissen – in der klassischen Form die Gefahren Feuer, Leitungswasser und Sturm abdeckt. Keineswegs ist es so, daß – wie man meinen möchte – der durch Feuer, d.h. genauer gesagt durch Brand, Blitzschlag, Explosion oder durch Anprall oder Absturz eines bemannten Flugkörpers verursachte Schaden auf Platz 1 der Ursachenstatistik liegt.

Der in 1994 auf Feuer entfallende Schaden beläuft sich auf “nur” knapp 20 % des Gesamtaufwandes, wobei der durchschnittliche Schaden bei etwa 9.000 DM liegt – aus naheliegenden Gründen der höchste Durchschnittsschaden aller hier behandelten Sparten.

Mehr als 1 Mrd. DM Schadenaufwand entfiel in1994 hingegen auf die Gefahr Leitungswasser. Gerade die Leitungswasserversicherung, die zunehmend von vielen Versicherungsnehmern als Reparaturversicherung mißverstanden wird, bereitet uns große Sorgen, zumal die Schadenursachenforschung bislang zu keinen brauchbaren Ergebnissen in Hinblick auf die Schadenprophylaxe geführt hat.

Fest steht, daß es sich bei den Ursachen offensichtlich um ein compositum mixtum bestehend aus den Elementen Wasserqualität – Stichwort: aggressives Wasser -, Korrosion und Verarbeitungsmängeln handelt. Daß diese Situation – wie auch in der Sturmversicherung – zu versicherungstechnischen: genauer gesagt prämienrelevanten Konsequenzen führen muß, liegt auf der Hand.

Immobilien Manager:

“Welche Entwicklungen im Bereich der Gebäudeversicherungen zum Beispiel hat es seit der “Freigabe” des Versicherungsmarktes im EG-Raum hier in der Bundesrepublik gegeben?”

Horst Kriebisch:

Die Situation im Angebotsbereich stellt sich derzeit so dar, daß keineswegs das eingetreten ist, was viele befürchtet, einige vielleicht auch erhofft haben, nämlich eine unüberschaubare Produktvielfalt auf dem deutschen Markt: womöglich noch angereichert durch Exporte aus EG-Ländern.

Von wenigen Ausnahmen abgesehen, wird von den deutschen Unternehmen die klassische Form der Gebäudeversicherung bzw. der Geschäftsversicherungen weiter angeboten.

Diese Deckungskonzepte haben sich seit Jahren bestens bewährt; es besteht überhaupt keine Veranlassung, das “Rad” neu zu erfinden – was ohnehin – wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf- mit Sicherheit nicht von Erfolg gekrönt wäre.

Im Bewußtsein der Versicherungsnehmer ist die klassische Mehrgefahrendeckung fest verankert. Dies nicht deshalb, weil es in der Vergangenheit keine Alternativen gab, sondern deshalb, weil diese Versicherungsform exakt dem Versicherungsbedürfnis entspricht.

Immobilien Manager:

“Können Sie sich denn beispielsweise neue Produkte oder Produktmodifikationen vorstellen.”

Horst Kriebisch:

Sicherlich wird es in Zukunft einige Modifikationen geben, vielleicht das sog. Baukastenprinzip, insbesondere in bezug auf die Klauseln. Ein Beispiel hierfür ist die von einem Mitgliedsunternehmen angebotene sog. Wohngebäude-Systemschutz-Deckung oder die für den gewerblichen Bereich sicherlich interessante Variante der dynamischen oder besser gesagt gebündelten Geschäftsversicherung.

Übrig bleibt aber bei allen Versuchen, das Paket “Gebäudeversicherung” neu zu schnüren, daß die erwähnten Grundelemente erhalten bleiben. Aus Verbands-, aber auch aus Verbrauchersicht- ist dieser status quo im Bedingungswesen zu begrüßen. Anderenfalls wäre nämlich die Markttransparenz auf dem Altar der Innovationsfreude – wie ich meine zu Lasten der Versicherten – geopfert worden.

Daß somit die Standarddeckungen weiter Bestand haben werden, bedeutet jedoch damit nicht einen Stillstand der “Rechtspflege”. Will sagen, wir haben in der Vergangenheit ergänzend zu dem existierenden Versicherungsangebot stets auf sich allfällig formulierten Versicherungsbedarf reagiert.

Jüngstes Beispiel hierfür ist die Versicherungsform der Erweiterten Elementarschadenversicherung für Wohn- und Geschäftsgebäude und für Hausrat. Wir bieten nunmehr eine Deckung an, vornehmlich gegen Erdbeben- und Überschwemmungsschäden. Es war zwingend, diese Elementarschadendeckung als Paket zu konzipieren, da anderenfalls der versicherungstechnisch erforderliche Ausgleich im Kollektiv nicht erreicht worden wäre.

Auch die Konzeption der Verbundenen Wohngebäudeversicherung, die VGB 88, die die Gebäudeversicherungsbedingungen aus dem Jahre 1962 abgelöst haben, ist ein Beispiel für richtig verstandene Innovation im Hinblick auf geänderte Rechtsprechung und erforderliche verbraucherfreundliche Fortentwicklung des Versicherungsschutzes.

Im Ergebnis eine marktgerechte Weiterentwicklung und Verbesserung des Produktes Wohngebäudeversicherung .

Immobilien Manager:

“Und was ist mit den Versicherungsklauseln?”

Horst Kriebisch:

Die Klauseln zu den Versicherungsverträgen, besonders im Bereich der kaufmännischen Versicherungszweige, stellen “Bausteine” des Versicherungsschutzes dar, mit denen dieser auf den individuellen Bedarf im Einzelfall ausgerichtet werden kann. Wirtschaftlich gesehen stellen die Versicherungsklauseln ein dynamisches Element im Sinne einer Fortentwicklung der Versicherung dar.

Ein Instrumentarium, das wir in der Vergangenheit sehr häufig genutzt haben, um möglichst zeitnah das Versicherungsbedürfnis decken zu können. Aus rechtlichen Gründen ist unser Handlungsspielraum für die Formulierung von Klauseln und Bedingungen aufgrund der EG-Gruppenfreistellungsverordnung VW jedoch ab Mitte 1993 deutlich eingeschränkt. Es würde hier zu weit führen diese Problematik darzustellen.

Immobilien Manager:

“Also doch ein bißchen Angst gegenüber der ausländischen Konkurrenz?”

Horst Kriebisch:

Abgesehen davon, daß wir gegenüber ausländischen Unternehmen keine Berührungsängste haben, können wir uns nicht vorstellen, daß die deutschen Versicherungnehmer unseren Unternehmen den Rücken kehren werden.

Warum sollte, so frage ich zugegebenermaßen etwas provozierend, das Mütterchen im Bayerischen Wald oder der Metzgermeister in Erfurt ausgerechnet eine Gebäudeversicherung bei einem portugiesischen Unternehmen abschließen, wenn beide den gewünschten Versicherungsschutz zu einem vernünftigen Preis bei dem ihnen seit Jahren bekannten Agenten der deutschen XY-Gesellschaft sozusagen um die Ecke herum sofort erhalten können. Ich glaube kaum, jedenfalls sprechen keine Anzeichen dafür, daß sich diese Situation in absehbarer Zukunft im Bereich der Allgemeinen Sachversicherung ändern wird.

Immobilien Manager:

“Es war bisher die Rede von der Verbundenen Wohngebäudeversicherung einerseits, den VGB 88, und den Geschäftsversicherungen andererseits, wobei unter Geschäftsversicherungen die Allgemeine Feuerversicherung (AFB), die Sturmversicherung (AStB) und die Leitungswasserversicherung (AWB) zu verstehen sind. Wo liegen nun die Abgrenzungskriterien zwischen diesen Produkten?”

Horst Kriebisch:

Der Anwendungsbereich der Wohngebäudeversicherung (VGB) ist nicht auf die Versicherung reiner Wohngebäude beschränkt. Die VGB 88 sind auch für die Versicherung gemischt genutzter Gebäude konzipiert, die sowohl Wohnzwecken als auch sonstigen gewerblichen, industriellen, landwirtschaftlichen oder öffentlichen Zwecken dienen.

Häufigster Fall dieser Mischkonstruktion sind Wohn- und Geschäftsgebäude, die sowohl Wohnungen als auch Büros, Arztpraxen oder Ladengeschäfte umfassen. Dabei treten notgedrungen Abgrenzungsprobleme auf, wobei maßgebend für die jeweilige Zuordnung die Nutzungsanteile sind.

Die VGB 88 und die entsprechenden Prämienrichtlinien werden angewendet, sofern mindestens die Hälfte der Gebäudefläche Wohnzwecken dient. Sie können sich vorstellen, daß diese Zuordnungsfrage weniger vom Deckungsumfang her gesehen, jedoch von der Prämienseite her von außerordentlicher Bedeutung ist.

Die Versicherung von gewerblich oder landwirtschaftlich genutzten Gebäuden erfordert nämlich aufgrund der kritischeren Risikodisposition weitaus höhere Prämiensätze als die Versicherung von Wohngebäuden.

Anders ausgedrückt: Die Tarifierung von gewerblich genutzten Gebäuden nach den Prämienrichtlinien für die Wohngebäudeversicherung begünstigt die Eigentümer dieser Gebäude im Verhältnis zu den Wohngebäudeeigentümern unangemessen und kann zu Ertragsproblemen beim Versicherer führen.

Zugegebenermaßen wurden diese Grundsätze unter dem Druck des Wettbewerbs von den Wohngebäudeversicherern in vielen Fällen verletzt. Das BAV hat diese Praxis bei örtlichen Prüfungen von Versicherungsunternehmen auch in Veröffentlichungen immer wieder – wie ich meine zu Recht – beanstandet, weil dadurch die Grundlage der Wohngebäudeversicherung ausgehöhlt wird.

Immobilien Manager:

“Was ist mit der vorvertraglichen Anzeigepflicht?”

Horst Kriebisch:

Die Vorgabe, daß der Versicherungsnehmer alle Antragsfragen, die für die Übernahme der Gefahr durch den Versicherer erheblich sind, wahrheitsgemäß beantworten muß, findet sich in allen Bedingungen der Allgemeinen Sachversicherung. Auch die Sanktion, daß bei schuldhafter Verletzung dieser Obliegenheit der Versicherer vom Vertrag zurücktreten kann und leistungsfrei ist, ist in allen AVB normiert.

Diese “Verhaltensanweisung” für den Versicherungsnehmer vor Abschluß des Vertrages ist an sich eine Selbstverständlichkeit. Sie ist notwendig, damit der Versicherer klare Vorstellungen von den Risikoverhältnissen erhält, die Voraussetzungen für eine risikogerechte Tarifierung einerseits und Vertragsgestaltung andererseits sind.

Rechtsfolgen sind nur an die nicht wahrheitsgemäße Beantwortung derjenigen Fragen geknüpft, die für die Übernahme der Gefahr erheblich sind. Welche Fragen dabei erheblich sind und welche nicht, steht nicht im Dispositionsbereich des Versicherers. Maßgebend ist vielmehr § 16 VVG, der nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers geändert werden darf.

Nach § 16 Abs. 1 Satz 2 VVG gelten Gefahrenumstände als erheblich, “die geeignet sind, auf den Entschluß des Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zu dem vereinbarten Inhalt abzuschließen, einen Einfluß ausüben.”

Immobilien Manager:

“Das gilt aber nur für vom Versicherer abgefragte Dinge!”

Horst Kriebisch:

Ja richtig! In diesem Zusammenhang ist der Hinweis von Bedeutung, daß sich der Versicherer auf eine Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht nur in Ansehung derjenigen Gefahrenumstände berufen kann, nach denen er auch im Antrag fragt.

Mit anderen Worten: Stellt sich z.B. im Versicherungsfall heraus, daß besondere Gefahrenumstände bei Antragserteilung vorlagen, nach denen der Versicherer jedoch nicht gefragt hatte, so kann sich der Versicherer sozusagen nachträglich auf eine Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht nicht berufen, die bereits erwähnten Sanktionen greifen nicht. Davon ausgenommen sind lediglich Fälle, in denen der Versicherungsnehmer arglistig einen gefahrerheblichen Umstand verschwiegen hat, nach dem im Antrag nicht gefragt wurde.

Nach den Vorgaben des Versicherungsvertragsgesetzes haben somit Antragsfragen also eine entscheidende Bedeutung. Es sind – auch wenn dies für den Versicherer im Einzelfall ein relativ mühevolles Unterfangen ist – alle relevanten Risikomerkmale zu erfragen, die für die Übernahme der beantragten Gefahren von Bedeutung sind, als da z.B. sind, Fragen nach der örtlichen Lage, der Nutzung, der Bauweise und Bauausstattung des Gebäudes etc.

Immobilien Manager:

“Welche Konsequenzen ergeben sich denn nun aus der Verpflichtung, alle Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten?”

Horst Kriebisch:

Logische Konsequenz aus der Verpflichtung des Versicherungsnehmers, alle Antragsfragen die für die Übernahme der Gefahr erheblich sind, wahrheitsgemäß zu beantworten, ist die Anzeigepflicht einer Gefahrerhöhung nach Vertragsschluß. Grundlage für diese Vorgabe sind die §§ 23 – 30 VVG.

Eine Gefahrerhöhung ist eine nachträgliche Änderung der bei Vertragsschluß tatsächlich vorhandenen Umständem die den Eintritt eines Versicherungsfalles oder eine Vergrößerung des Schadens wahrscheinlicher macht.

Zu unterscheiden ist zwischen erheblichen und belanglosen Gefahrerhöhungen, wobei grundsätzlich davon auszugehen ist, daß die nachträgliche Änderung von Umständen, nach denen im Antrag gefragt wurde, stets gefahrerheblich ist.

Ein Verstoß gegen diese Obliegenheit löst ebenfalls ein Kündigungsrecht des Versicherer aus bzw. dessen Leistungsfreiheit. Es sollte noch erwähnt werden, daß die Beweislast für eine behauptete Gefahrerhöhung der Versicherer trägt. Er muß beweisen, daß die nachträgliche Änderung des Gefahrenumstandes objektiv eine Gefahrerhöhung darstellt und daß der Versicherungsnehmer oder sein Repräsentant die gefahrerhöhenden Umstande kannte.

Immobilien Manager:

“Thema Versicherungssumme bei der Gebäudeversicherung. Immer noch das Herzstück jedes Vertrages?”

Horst Kriebisch:

Sicherlich! Herzstück der Gebäudeversicherung unter dem Vorzeichen der Risikobewertung ist die Festlegung der Versicherungssumme bzw. des Versicherungswertes.

Theoretisch gibt es die Möglichkeit, ein Gebäude, auch ein Wohnhaus, bei der Festlegung des Versicherungswertes den Neuwert, den Zeitwert oder den gemeinen Wert zugrundezulegen. Allgemein übliche Vorgehensweise ist es jedoch, die Bestimmung der Versicherungssumme 1914 als Basis für die Gleitende Neuwertversicherung festzusetzen.

Immobilien Manager:

“Welche Definitionen hat die Versicherungswirtschaft für Neuwert, Zeitwert und den gemeinen Wert?”

Horst Kriebisch:

Neuwert ist der ortsübliche Neubauwert, wozu auch Architektengebühren sowie sonstige Konstruktions- und Planungskosten gehören; der Zeitwert wird errechnet aus dem Neuwert abzüglich der Wertminderung, die sich aus Alter und Abnutzung ergibt; der gemeine Wert ist der für den Versicherungsnehmer erzielbare Verkaufspreis.

Immobilien Manager:

“Die üblichste Form der Wertermittlung ist aber immer noch sicherlich die Ermittlung nach dem Versicherungswert von 1914? Gibt es dafür immer noch gute Gründe?”

Horst Kriebisch:

Obwohl es nicht ganz leicht fällt, die Existenzberechtigung der Versicherungssumme 1914 zu begründen, meine ich, daß sie nach wie vor eine Berechtigung hat.

Anläßlich der Konzeption der VGB 88 haben wir in unseren Gremien sehr kontrovers die Frage diskutiert, ob die Versicherungssumme 1914 noch zeitgerecht ist oder durch einen aktuellen ggf. mit einer Summenanpassungsklausel versehenen indizierten aktuellen Versicherungswert ersetzt werden soll.

Diese Überlegungen sind verworfen worden, weil unter dem Strich eine Änderung des Basisjahres oder aber die Umstellung auf aktuelle Neubaupreise keine Vorteile gebracht hätte. Hinzu kommt, daß wir davon ausgehen mußten, daß die Pflicht- und Monopolanstalten eine Änderung der Versicherungswert- und Versicherungssummengrundlage in der Wettbewerbsversicherung wohl kaum nachvollzogen hätten.

Infolgedessen wäre dann nicht auszuschließen gewesen, daß für dasselbe Wohnhaus mehrere Verträge mit unterschiedlichen Versicherungssummen bestanden hätten.

Es bleibt also bei der Versicherungssumme 1914 als sogenannter Soll-Versicherungssumme, die die einzige Versicherungssumme in der Gleitenden Neuwertversicherung darstellt.

Berechnungsmethoden, aus der Versicherungssumme 1914 eine Gegenwartsversicherungssumme zu ermitteln, sei es durch Multiplikation der Versicherungssumme 1914 mit dem Baupreisindex für Wohngebäude oder gar mit dem Gleitenden Neuwertfaktor sind schon vom Ansatz her verfehlt und führen zu unzutreffenden Ergebnissen. Dies deshalb: weil die Versicherungssumme in der Gleitenden Neuwertversicherung ihre Funktion als Obergrenze der Entschädigung verloren hat. Es gibt nämlich keine betragsmäßige Begrenzung der Entschädigung, der Versicherer haftet unbegrenzt. Diesen Vorteil für den Versicherungsnehmer würde z.B. selbst eine indizierte Neubauwertsumme nicht bieten.

Immobilien Manager:

“Wie wird denn nun die Versicherungssumme 1914 genau ermittelt?”

Horst Kriebisch:

Für die Verbundene Wohngebäudeversicherung existiert ein Summenermittlungsbogen, mit dem lediglich drei Grundpositionen abgefragt werden.

Neben der Ermittlung des Gebäudetyps und der Bauausführung bzw. der Bauausstattung muß der Versicherungsnehmer die Wohnfläche in qm angeben. Aufgrund näher beschriebener Multiplikationsfaktoren kann der Versicherungsnehmer sodann selbst ohne Probleme die Versicherungssumme 1914 bestimmen, die auch Grundlage für die Prämienberechnung ist.

Immobilien Manager:

“Im gewerblichen Bereich funktioniert dies aber leider nicht so!”

Horst Kriebisch:

Richtig, im gewerblichen Bereich funktioniert die relativ einfache Methode der Summenermittlung leider nicht. Hier sind wir auf ein wesentlich komplizierteres Verfahren angewiesen.

Vielleicht hat der Versicherungsnehmer das Haus im jetzigen Zustand gekauft. Kaufpreise sind aber nicht Baupreise, auch der steuerliche Einheitswert hilft insoweit nicht weiter.

Kennt der Versicherungsnehmer die Baukosten nicht, existieren gar keine Unterlagen über die ursprünglichen Kosten, muß über zugegebenermaßen nicht einfach zu handhabende Berechnungsformeln des umbauten Raumes in m3 unter Berücksichtigung bestimmter Bewertungskriterien die Summenermittlung vorgenommen werden.

Das vereinfachte Verfahren zur Ermittlung der Versicherungssumme 1914 aus dem Bereich der Verbundenen Wohngebäudeversicherung ist nach unseren Erkenntnissen im geschäftlichen Bereich nicht anwendbar, da die Streubreite für Wohngebäude mit gewerblichem Anteil bezüglich der Wertermittlung qm/Versicherungssumme zu groß ist und immanente Degressionen bei der Ermittlung der Versicherungssumme aufgefangen werden müßten.

Immobilien Manager:

“Unterversicherung! Sicherlich auch ein sehr wichtiges Thema, was immer wieder zu Irritationen führt!”

Horst Kriebisch:

Im privaten wie auch im gewerblichen Bereich ist letztendlich entscheidend, daß die Versicherungssumme dem Versicherungswert entspricht. Andernfalls läuft der Versicherungsnehmer Gefahr, unterversichert zu sein: was im Einzelfall zu existentiell bedrohlichen Situation führen kann.

Im Breitengeschäft haben wir das Problem Unterversicherung gelöst. Wenn nämlich die Versicherungssumme 1914 nach bestimmten Alternativen bestimmt wird – Sachverständigengutachten, Umrechnung des Neuwertes auf 1914er Basis auf Verantwortung des Versicherers oder Ermittlung der VS 1914 anhand des beschriebenen Wertermittlungsbogens – nimmt der Versicherer keinen Abzug wegen Unterversicherung vor, sofern dem Versicherungsnehmer bei ggf. falschen Angaben der wertbestimmenden Faktoren kein Schuldvorwurf gemacht werden kann.

Im gewerblichen Bereich existiert diese Methode nicht. Hier gilt weiterhin der klassische Grundsatz, daß – um Unterversicherung zu vermeiden – aufgrund der realen, nicht über statistische Durchschnittsgrößen ermittelten Versicherungssummen Identität mit dem Versicherungswert hergestellt werden muß.

Immobilien Manager:

“Was hinten raus kommt, sind die Prämien, die der Versicherungsnehmer zu bezahlen hat!”

Horst Kriebisch:

Wie gesagt, die Versicherungssumme 1914 ist Prämienberechnungsgrundlage, wobei wie folgt gerechnet wird:

Prämie 1914 = Versicherungssumme x Prämiensatz.

Dieser Betrag ist jedoch nicht die Bezugsprämie, die der Versicherungsnehmer zu zahlen hat, sondern lediglich ein Zwischenergebnis, der sog. Grundprämienbetrag, der an die Baupreisentwicklung anzupassen ist.

Die vom Versicherungsnehmer zu zahlende Prämie errechnet sich sodann in der Weise, daß die Prämie 1914 mit dem aktuellen Gleitenden Neuwertfaktor multipliziert wird. Die Haftung des Versicherers und die vom Versicherungsnehmer zu zahlende Prämie verändern sich gleichmäßig.

Der Gleitende Neuwertfaktor ist ein Mischfaktor. Er erhöht oder vermindert sich entsprechend den Veränderungen des vom Statistischen Bundesamtes veröffentlichten Baupreisindexes für Wohngebäude und des Tariflohnindexes für das Baugewerbe zu 80 % bzw. zu 20 %.

Bei diesem Index handelt es sich um eine gewichtete Meßzahl der durchschnittlichen Neubaukosten für ein standardisiertes “Normhaus” in der Bundesrepublik. Da jedoch kein Gebäude einem anderen völlig gleicht, weitere Differenzen deswegen auftreten, weil die Baupreisentwicklung am Standort des Gebäudes nicht notwendigerweise identisch ist mit der durchschnittlichen Baupreisentwicklung in der Bundesrepublik, ist das Institut “Gleitende Neuwertversicherung” des öfteren in die Kritik geraten.

Wir wissen, daß diese Kritik nicht gänzlich unberechtigt ist, vertreten wir jedoch die Auffassung, daß nicht zuletzt aus Praktikabilitäts- und Handlings-Gesichtspunkten diese Ungleichbehandlung in Kauf genommen werden kann. Sie bewegt sich in tolerierbaren Grenzen und wird durch die grundsätzlichen Vorteile der Gleitenden Neuwertversicherung für den Versicherungsnehmer überkompensiert.

Immobilien Manager:

“Reden wir nicht zuletzt auch über den Fall, in dem Entschädigungsleistungen erbracht werden müssen!”

Horst Kriebisch:

Die Entschädigungsberechnung ist umfassend in § 15 VGB 88 geregelt. Von bestimmten Ausnahmen abgesehen, gilt für den gewerblichen Bereich bei Vereinbarung der entsprechenden Bedingungen für die Teilgefahren Feuer, Leitungswasser und Sturm unter Berücksichtigung der Sonderbedingungen für die Gleitende Neuwertversicherung (SGIN) gleiches.

Ersetzt werden nach § 15 VGB 88 bei zerstörten Gebäuden sowie bei zerstörten oder abhandengekommenden sonstigen Sachen der Neuwert unmittelbar vor Eintritt des Versicherungsfalles; ersetzt werden bei beschädigten Sachen die notwendigen Reparaturkosten zur Zeit des Eintritts des Versicherungsfalles zuzüglich einer Wertminderung, die durch Reparatur nicht auszugleichen ist, höchstens jedoch der Versicherungswert unmittelbar vor Eintritt des Versicherungsfalles.

Sehr bedeutend für den Wohngebäudebereich ist, daß der Versicherungsnehmer den Anspruch auf Zahlung des Teils der Entschädigung, der den Zeitwertschaden übersteigt, nur dann erhält, soweit und sobald er innerhalb von drei Jahren nach Eintritt des Versicherungsfalles sichergestellt hat, daß er die Entschädigung verwenden wird, um versicherte Sachen, sprich das zerstörte Gebäude, in gleicher Art und Zweckbestimmung an der bisherigen Stelle wieder herzustellen.

Immobilien Manager:

“Wie sieht das für den gewerblichen Bereich aus?”

Horst Kriebisch:

Im gewerblichen Bereich wird – auch bei einer vereinbarten Neuwertversicherung – grundsätzlich nur der Zeitwert ersetzt, wenn dieser bei Eintritt des Versicherungsfalles weniger als 40 % des Neuwertes beträgt.

Die VGB kennen eine derartige Untergrenze für die Entschädigung des Neuwerts nicht. Es sollen alle Kosten abgedeckt werden: die der Wiederaufbau des zerstörten Gebäudes verursacht.

Immobilien Manager:

“Unter dem Strich wird sich also für den Bereich der sogenannten “Immobilienversicherungen” nur wenig ändern?”

Horst Kriebisch:

Sie werden hoffentlich mit mir darin übereinstimmen, daß wir ein Versicherungsprodukt anbieten, das den Bedürfnissen der Versicherungsnehmerschaft weitestgehend entgegenkommt.

Für Experimente im Deckungsbereich ist kein Raum. Wenn man berücksichtigt, daß das sog. Normhaus in einer Größenordnung von DM 500.000 Gegenwartssumme zu einer Jahresprämie von durchschnittlich 350 DM versichert werden kann, wird auch von der Prämienseite her den Kundenwünschen entsprochen.

Daß zwischenzeitlich gewisse Korrekturen in der Bezugsprämie im Hinblick auf Selbstbehalte, insbesondere im Rahmen der Sturm- und Leitungswasserversicherung Platz greifen, verwundert angesichts der eingangs erwähnten Geschäftsergebnisse nicht.

Vielleicht ist diese Vorgehensweise auch eine Folge der längst überfälligen Bewertung der Funktion von Versicherung schlechthin. Zunehmend verstehen wir uns weniger als Entschädigungsleistende für alle nur denkbare Schadenbelastungen des Versicherungsnehmers. Wir meinen, daß Versicherung eine Risikoabsicherung für den Extremfall, sprich für die Existenzsicherung sein sollte. Versicherung in diesem Sinne ist- so meine ich- die einzig sachlich richtige und damit auch prämienmäßig tragbare Angebotsform der Zukunft.

Immobilien Manager:

“Vielen Dank, Herr Kriebisch, für das Gespräch.”

(Mit Horst Kriebisch sprach Helmut Peters.)

 

Redaktion: Helmut Peters